Was wir haben

Eines Abends stehen Jesus und seine Jünger vor einer großen, hungrigen Menschenmenge. Jesus überlegt nicht: „Was brauche ich für 5000 Menschen, damit sie satt werden?“ Er schreibt keine Einkaufsliste und schickt seine Jünger damit los. Es wäre ja auch gar nicht möglich, für so viele Menschen etwas zu kaufen. Nein, Jesus fragt: „Was haben wir denn? Was ist denn noch da?“ „Fünf Brote und zwei Fische“, ist die Antwort. Das ist nicht viel. Aber als die Jünger es verteilen, da reicht es. So erzählt es uns die Bibel.
Mir ist diese Geschichte in den Sinn gekommen, als ich über meine Kontakte zu anderen Menschen nachgedacht habe – jetzt in Zeiten der Kontaktsperre. Wie gern würde ich anderen nahe sein: gemeinsam Gottesdienste feiern und hinterher beim Kirchenkaffee zusammensitzen. Miteinander sprechen- von Angesicht zu Angesicht und nicht nur am Telefon oder über die Straße hinweg. Wie gern würde ich Freunde treffen, die ich lange nicht gesehen habe, und sie umarmen. Aber all das geht gerade nicht. Das, was wir anderen gern geben würden, was wir gern miteinander teilen würden, das kann und darf zur Zeit nicht sein.
Aber ich kann wie Jesus fragen: Was haben wir denn? Was ist denn noch da? Und mir fällt vieles ein und auf: die Unbekannten, mit denen ich in diesen Tagen ins Gespräch komme, auf der Straße, an der Außenmühle, immer mit Abstand, aber freundlich und lächelnd und offen. Die handgeschriebenen Briefe, die wieder in mein Haus flattern und die ich wieder selber schreibe – wie früher in Zeiten vor E-Mails und Whatsapp. Die Nachbarin, die mir so freudig aus dem Auto zuwinkt, als ob sie mich Jahre nicht gesehen hätte. Es gibt viele Wege, mit denen Menschen jetzt ihre Nähe, ihre Freundlichkeit und Fürsorge ausdrücken.
Es ist, als ob Jesus zu ihnen gesagt hätte: Nehmt das, was ihr habt und teilt es aus! Es muss kein Festmahl sein. Fünf Brote und zwei Fische genügen. Ein Lächeln, ein Telefonanruf, ein gutes Wort… und alle werden satt.

Eure Sabine Ramm-Böhme

© Sabine Ramm-Böhme


 Dieser Text ist Teil der Reihe „Seelenfutter“: Die geistlichen Gedanken in stürmischen Zeiten der Pastoren der Paul-Gerhardt-Gemeinde.
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